1864-1920

Nordschleswig im deutschen Staatsverband – politische Entwicklung und nationale Gegensätze

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Nordschleswig im deutschen Staatsverband – politische Entwicklung und nationale Gegensätze

 

Unter der Monarchie der Hohenzollern (1864-1920)

 

Mit dem Ende des Krieges 1864 und dem Wiener Frieden war das Herzogtum Schleswig mit leicht veränderten Grenzen preußisch geworden. Der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck hatte kein Interesse an einem eigenständigen deutschen Schleswig-Holstein und ließ den unter den meisten deutschgesinnten Schleswig-Holsteinern beliebten letzten Augustenburger Herzog Friedrich ("der Achte") unberücksichtigt. Nachdem Preußen sich mit Österreich überworfen, dieses in einem weiteren Krieg 1866 besiegt und aus dem Deutschen Bund hinausgedrängt hatte, wurde Schleswig-Holstein 1868 in eine preußische Provinz umgewandelt. Die Gesetzgebung wurde schnell jener in ganz Preußen angepasst, was auch manche Modernisierung mit sich führte. Das Dänische blieb als Kirchen- und Schulsprache zunächst weitgehend unangetastet, und im Prager Frieden von 1866 wurde sogar die Möglichkeit einer eventuellen Volksabstimmung über die Staatszugehörigkeit des nördlichen Schleswig verankert. Eine solche wurde jedoch nicht ernsthaft erwogen, und ab Ende der 1870er Jahre wurde die Vorrangstellung der deutschen Sprache ausgebaut. Ab 1889 sollte sie reichsweit alleinige Schul- und Amtssprache sein.

Der dänische Bevölkerungsteil organisierte seine Kultur- und Spracharbeit in zahlreichen Vereinen und errichtete allerorts eigene Versammlungshäuser. Auch gelang es ihnen, bei jeder Wahl Abgeordnete in den deutschen Reichstag und in das preußische Abgeordnetenhaus zu wählen. Doch auch die deutsche Seite bemühte sich verstärkt um nationalpolitische Kulturarbeit in den nördlichen Landesteilen und gründete zahlreiche Vereine mit nationalpolitischen Anliegen. 1894 wurde auf private Initiative hin der Knivsberg als Sammlungsort für deutsche Volksfeste ausgebaut und dort ein weithin sichtbarer Bismarck-Turm mit Denkmal errichtet. Grundsätzlich konnten die Deutschgesinnten als Angehörige der Staatsnation fühlen, zumal auch zahlreiche Bedienstete der Staatsbehörden - neben Verwaltung und Polizei auch die flächendeckend ausgebaute Post und Bahn - aus dem übrigen Reich hinzuzogen.

Die Regierungszeit von Ernst Matthias von Köller als Oberpräsidenten von Schleswig-Holstein setzte 1897-1901 den Tiefpunkt im nationalen Konflikt jener Zeit. Die dänische Sprache sollte aus den Schulen verdrängt werden und viele dänische Staatsbürger, darunter auch viele Einheimische, die seit 1864 für die dänische Staatsbürgerschaft optiert hatten, wurde das feste Aufenthaltsrecht entzogen. Dieser verschärfte Nationalitätenkampf von oben endete jedoch mit Köllers baldiger Versetzung, und die dänische Volksgruppe und ihre Vertreter verstanden es, die ihnen in der deutschen Rechtsordnung zugestanden Bürgerrechte auch durchzusetzen – auch wenn immer wieder einzelne Vertreter, v.a. Journalisten, wegen Beleidigung der Obrigkeit nach den damaligen Gesetzen verurteilt und sogar inhaftiert wurden.

Das Verhältnis zwischen dem Deutschen Reich und Dänemark war relativ ruhig. In Dänemark und Deutschland gab es wie andernorts in Europa erhebliche innere soziale und politische Spannungen. Die Demokratisierung war ab 1864 in Dänemark nicht weitergekommen, die Regierungen wurden nach wie vor vom König ernannt und konnten teilweise autoritär am Parlament vorbei regieren wie z.B. 1875-94 der noch immer als Konseilspräsident (und noch nicht "Statsminister") betitelte Regierungschef Jacob B.S. Estrup. Erst 1901 mussten die bei den Wahlen stark geschwächten Konservativen (Højre) nachgeben; mit Venstre-Politiker Johan Henrik Deuntzer gab es erstmals einen von der Mehrheit im Folketing getragenen Regierungschef, womit Dänemark zur demokratisch-parlamentarischen konstitutionellen Monarchie wurde.

In Deutschland gab es zwar seit 1871 einen von einem erheblichen Teil der männlichen Bevölkerung gewählten Reichstag, doch dessen Einfluss auf die Regierungsbildung blieb bis 1918 begrenzt. Den Wahlkreis Hadersleben-Sonderburg gewann praktisch immer ein dänischer Vertreter. Auch im preußischen Landtag in Berlin, der nach dem Dreiklassenwahlrecht gewählt wurde, gab es dänische Vertreter aus den nördlichen Wahlkreisen. Doch auch der Landtag hatte noch nicht die Befugnisse eines demokratischen Parlaments.

 

Randlage und Modernisierung

Auch wenn das nördliche Schleswig durch die nahe Zollgrenze, die Konkurrenz aus den deutschen Wirtschaftszentren und die in Hinblick auf den deutschen Markt recht ungünstige geografische Lage gewisse Standortnachteile hatte, ging es hier wirtschaftlich vor allem ab den 1890er Jahren aufwärts. Die alte schleswigsche Landbrücke war zwar wirtschaftlich zu einem peripheren Grenzland geworden. Industrialisierung, Verbesserung der öffentlichen Infrastruktur und neue Wege in der Sozialpolitik führten aber auch hier zu wirtschaftlichem Wachstum, wobei Tondern und die Westküste allerdings vergleichsweise weniger profitierten. Im Vergleich zu Flensburg und einigen Gegenden in Holstein einerseits und zu den meisten Städten im südlichen und östlichen Jütland andererseits blieb das Wachstum in den schleswigschen Städten jedoch eher bescheiden. Das größte Wachstum erlebte Sonderburg, das zudem Marinestandort wurde.

Trotz des Ausbaus von Chausseen seit den 1830er Jahren blieb der Landverkehr eher lokal begrenzt. Wichtiger war zunächst die Eisenbahn, welche schon in den 1860er Jahren über die östliche Nord-Süd-Hauptbahn den Landesteil mit dem übrigen Deutschland und Dänemark verband. Die Städte Tondern, Apenrade und Hadersleben wurden allerdings nur durch Nebenbahnen mit dieser verbunden, wobei sich um die Abzweigebahnhöfe Tingleff, Rothenkrug und Woyens bedeutende neue Siedlungen entwickelten. Ab 1880 entstand ein dichtes Netz an Nebenbahnen und meterspurigen Kleinbahnen, welche in Regie der Landkreise betrieben wurden. Auch der Schiffsverkehr nahm zu. Dampfschiffe fuhren im Linienbetrieb auf den Förden und zu den Inseln. Auch der - meist lokal begrenzte - Ausflugsverkehr nahm zu und es entwickelte sich ein regelrechter Tourismus vor allem an Badeorten, deren bekanntester im heutigen Nordschleswig das neu gegründete Lakolk auf Röm wurde.

Wirkliche Großindustrie entwickelte sich in Nordschleswig in der Kaiserzeit nicht. Dennoch entstanden zahlreiche mittlere und vor allem kleinere Industriebetriebe, z.B. in den Bereichen Eisengießerei und Maschinenbau. Ein Beispiel für versäumte Innovation war allerdings das Ende der Werften in Apenrade, welche den Umstieg von Holz- auf Metallschiffbau nicht schafften.

Wie in anderen Teilen Europas führten fehlende Perspektiven zur Auswanderungen eines erheblichen Teils der jüngeren Bevölkerung, welche durch immer mehr Geburten und eine trotz vieler Rückschläge zunehmend sinkende Kindersterblichkeit immer zahlreicher geworden war. Nordschleswig war von der Auswanderung nicht überproportional betroffen, eine mitunter kolpotierte verstärkte Auswanderung aus nationalpolitischen Gründen lässt sich nicht nachweisen.

Die deutsch-dänische Grenze südlich von Ripen, am mittleren Lauf der Königsau (nur hier der historischen Nordgrenze des alten Herzogtums folgend) und südlich von Kolding war in erster Linie als Zollgrenze von Bedeutung. Dennoch gab es einigen Handel über diese Grenze hinweg. Gleiches galt für den Personenverkehr, der angesichts der damaligen verkehrstechnischen Möglichkeiten jedoch recht begrenzt blieb. An den Grenzübergängen gab es Zollstellen, Schlagbäume wurden erst nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs eingeführt.

 

Das Ende einer Epoche

Wachsende Gegensätze zwischen den europäischen Großmächten, darunter nicht zuletzt die deutschen Aufrüstungspolitik, führten 1914 in die Katastrophe des Ersten Weltkriegs. Auch tausende junger Nordschleswiger mussten unabhängig von ihrer nationalen Gesinnung in den Krieg ziehen, und viele kehrten nicht mehr oder traumatisiert nach Hause zurück.

Auch wenn Dänemark nicht am Krieg beteiligt war, eröffnete die Niederlage des Deutschen Reichs 1918 neue Möglichkeiten zu einer Grenzkorrektur. Hier setzte sich auf dänischer Seite der Realpolitiker H.P. Hanssen durch, der zuvor mehrere Jahre lang dänischer Vertreter im deutschen Reichstag gewesen war. Er wandte sich gegen dänische Forderungen nach Wiedereingliederung des gesamten alten Herzogtums Schleswig bis zur Eider unter der dänischen Krone. Stattdessen setzte er sich für eine Grenzlinie ein, mit der nur ein für Dänemark vertretbar großer – und kurz über lang assimilierbarer – deutscher Bevölkerungsteil zu Dänemark kommen sollte.