Die Identität der deutschen Nordschleswiger

Die deutschen Nordschleswiger als anerkannte nationale Minderheit

Zuletzt aktualisiert um:
Bearbeitet von Grenzgenial
Klasse 8 bis 9
Bundeskanzler Adenauer, Bundespräsident Heuss, dänischer Ministerpräsident Hansen Foto: Deutsches Museum Nordschleswig

Nach internationalem Recht gilt als nationale Minderheit eine Volksgruppe, die auf ihrem Territorium von einer zahlenmäßig größeren Gruppe dominiert wird, dabei allerdings ihre Eigenheiten, so zum Beispiel die Sprache, Kultur und Geschichte bewahrt und pflegt, und sich nicht der zahlenmäßig überlegenden Gruppe anpasst.

Die deutsche Minderheit in Nordschleswig, wie auch die dänische Minderheit in Südschleswig, wird offiziell als Bekenntnisminderheit anerkannt. Dieses geht ausdrücklich aus den Bonn-Kopenhagener Erklärungen (1955) hervor, und bedeutet, dass die Angehörigen innerhalb der Minderheiten selbst bestimmen, wie sehr sie sich der Minderheit zugehörig fühlen oder auch nicht. Die Entscheidung dieser Menschen darf laut den Erklärungen von keinen Behörden angezweifelt oder überprüft werden, und die Angehörigen dürfen durch ihre Entscheidung nicht benachteiligt werden.

 

Gruppenidentität bei der deutschen Minderheit

Die Gruppenidentität der oben genannten Minderheiten wird zusätzlich durch die Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen (1998) gesichert. Laut der Charta ist Deutsch in Nordschleswig keine Fremdsprache, sondern eine anerkannte Minderheitensprache. Schon seit 1955 haben die Minderheitenschulen das volle Examensrecht und werden staatlich gefördert. Nach 1998 sollte es nun auch möglich sein, Deutsch unter anderem bei Behörden nutzen zu können und diese im öffentlichen Raum sichtbar zu machen.

Es gibt keine offizielle Definition für die Zugehörigkeit zur deutschen Minderheit. Wichtige Faktoren sind unter anderem die Pflege kultureller Eigenheiten, der Gebrauch der deutschen Sprache und vor allem das Gefühl der Zugehörigkeit. Mögliche Wege der Sozialisation zur deutschen Minderheit sind folgende:

  • Abstammung: Bereits die Vorfahren haben sich zur deutschen Minderheit bzw. zur deutschen Kultur bekannt und dies an die Nachfahren weitergegeben.
  • Eingliederung: Personen, die erst keine Bindung an die Minderheit hatten, bekennen sich zu dieser, indem sie die Identitätsmuster der Minderheit übernehmen und diese an ihre Kinder weitergeben und diese in Einrichtungen z.B. Kindergarten oder Schulen schicken.
  • Zuzug: Familien oder Einzelpersonen mit deutscher Muttersprache, die (meist aus Deutschland) in den Landesteil ziehen und sich der örtlichen deutschen Minderheit anpassen.

 

Individuelle Identität

Für Angehörige einer Minderheit stellen sich immer wieder besondere Fragen über die eigene Identität. Dies gilt sowohl für das „Ich“, also die individuelle Identität, als auch für das „Wir“, also die Gruppenidentität. Jeder Mensch ist, bewusst oder unbewusst, ständig dabei, seine Identität zu entwickeln. Besonders intensiv geschieht dies in der Jugend, wenn wir unseren Platz in der Gesellschaft suchen und dabei ständig darüber zu reflektieren, wer wir sind bzw. sein wollen und wovon wir uns abgrenzen wollen.

Natürlich ist Identität ein sehr vielschichtiger Begriff. Eine wesentliche Rolle spielt die kulturelle Identität: Welchem Kulturkreis fühle ich mich sprachlich, emotional, in Bezug auf Sitten und Gebräuche usw. zugehörig? Doch auch eigene Interessen (Freizeit oder Beruf), Institutionen, politische Orientierung, Familie, Umgebung, Herkunft, persönliche Charakterzüge und vieles mehr machen die individuelle Persönlichkeit und damit Identität aus.

Prägend für die deutsche Minderheit in Nordschleswig ist die Zugehörigkeit zum dänischen Nationalstaat. Dies bedeutet, dass man sich in einer dänischsprachigen Umgebung befindet und wesentliche Teile des Alltagslebens auf Dänisch vor sich gehen müssen. Dies stellt insbesondere junge Angehörige der Minderheit vor die Herausforderung, sich bewusst oder unbewusst damit auseinandersetzen zu müssen, inwieweit sie anders sind als die Mehrheit in ihrer Umgebung.

 

Minderheit in einer sich verändernden Welt

Man möchte zu einer bestimmten Gruppe gehören, wenn man eine Gemeinsamkeit erkennt, oder zumindest, wenn man sich nicht ausgegrenzt fühlen will, weil diese Gruppe gerade angesagt erscheint. Auf der anderen Seite möchte man sich von anderen Gruppen abgrenzen, denen man sich nicht verbunden fühlt oder von denen man sich abheben möchte.

Wer das Gefühl bekommt, dass die Gruppe, der man sich lange zugehörig gefühlt hat, einen immer mehr einengt, wird früher oder später versuchen, aus dieser auszubrechen oder sich zumindest von ihr abzuwenden. Dies gilt besonders, wenn man sich mit dieser Gruppe isoliert fühlt, weil sie den Zugang zu anderen Zugehörigkeiten erschwert oder gar unmöglich macht. 

Mehr als je zuvor ist es in der heutigen Zeit möglich, seine eigene Identität mit Hilfe vieler gesellschaftlicher und kultureller "Angebote" ganz individuell zu entwickeln. Mehr als jemals
zuvor reflektieren wir über uns selbst, wie wir sein wollen.

 

Minderheit als Mehrwert

Doch gerade die Globalisierung und Internationalisierung hat Minderheitengruppen wie den deutschen Nordschleswigern neue Chancen eröffnet. Heute wird die Zugehörigkeit nicht mehr als „entweder-oder“ Frage definiert, sondern man betont in Bezug auf die Umgebung das „sowohl als auch“ und lehnt eine scharfe Abgrenzung ab. Da die Angehörigen der Minderheit automatisch auch mit der dänischen Umgebungssprache und -kultur aufwachsen, entwickeln sie außerdem eine erweiterte Sprach- und Kulturkompetenz.

Neben individuellen beruflichen Vorteilen werden diese Kompetenzen vermehrt als Stärkung der Region und wirtschaftlicher Standortvorteil für diese und damit auch für die Mehrheitsbevölkerung betrachtet.

Wortschatz

Grundbegriffe 

  • Volksgruppe: Eine durch ethnische Merkmale gekennzeichnete Gruppe innerhalb eines Volkes
  • Bekenntnisminderheit : Angehörige einer nationalen Minderheit dürfen selbst bestimmen, ob sie sich der Minderheit zugehörig fühlen möchten oder nicht
  • Gruppenidentität: Ein in Gruppen entwickeltes „Wir-Gefühl“
  • Sozialisation : Ein Prozess der Eingliederung/Anpassung in die umgebende Gesellschaft und Kultur
  • Individuelle Identität: Eine umfassende Selbstbeschreibung von dem, was einen persönlich ausmacht und womit man sich identifiziert
  • Kulturelle Identität: Das Zugehörigkeitsgefühl eines Individuums oder sozialen Gruppe zu einem bestimmten kulturellen Kollektiv
  • Globalisierung: Vorgang, bei welchem weltweite Verflechtungen in Bereichen Wirtschaft, Politik, Kultur etc. zwischen Individuen, Gesellschaften etc. zunehmen
  • Internationalisierung: Ausweitung der unternehmerischen Tätigkeit auf andere Länder
  • Sprach- und Kulturkompetenz: Die Kompetenz sich sprachlich, sowie kulturell verständlich zu machen und andere zu verstehen