2001 bis heute - Gymnasium
Minderheit als Mehrwert?
Bearbeitet von Grenzgenial
Politische Entwicklung
Seit den 1990er Jahren hat sich die Stellung der deutschen Nordschleswiger nicht wesentlich verändert. Das deutsch-dänische Verhältnis gilt grundsätzlich nach wie vor als ausgezeichnet. Im März 2001 trat das Schengener Abkommen auch für Dänemark in Kraft, sodass die festen Grenzkontrollen abgeschafft wurden. Das gute Zusammenleben zwischen Mehr- und Minderheiten wird bei jeder Gelegenheit auch in der hohen Politik gelobt und als vorbildlich hervorgehoben.
Die größte politische Herausforderung für die deutsche Minderheit war die Frage ihrer künftigen politischen Vertretung im Zuge der Anfang 2007 in Kraft getretenen Verwaltungsreform. Seither gibt es in Dänemark nur noch 98 Kommunen, davon ganze vier in Nordschleswig, mit den vier alten Städten Tondern, Apenrade, Sonderburg und Hadersleben als Zentren. Zwar erinnern ihre Ausdehnungen an die gleichnamigen historischen Ämter, doch die Neuordnung geschah weitgehend ohne Rücksicht auf historische Grenzen.
Sønderjyllands Amt ging in einer Region Syddanmark mit Verwaltungssitz in Vejle auf. Die Kompetenzen der fünf dänischen Regionen sind aber von Beginn an begrenzt gewesen (v.a. Krankenhäuser, öffentlicher Nahverkehr, Wirtschaftsförderung), ihre Fortexistenz ist bereits wiederholt in Frage gestellt worden. Erstmals seit dem Hochmittelalter ist die historische Region (Nord-)Schleswig nicht mehr auf der administrativen Landkarte wahrnehmbar.
Die Etablierung von Slesvigsk Parti in den neuen Kommunen
Für Slesvigsk Parti hat es bisher in allen vier Kommunen fast immer für mindestens ein Mandat gereicht; nur in Hadersleben galt 2007-09 die zuvor vereinbarte Sonderregel, dass der Partei der Minderheit immerhin ein Sitz mit Rederecht im Kommunalrat zusteht, wenn sie mindestens die Hälfte der für das mit der kleinsten Stimmenzahl erreichbare letzte Mandat notwendigen Stimmen erzielt hat.
2013 gab es deutliche Zugewinne in allen vier Kommunen, die jedoch 2017 zum wesentlichen Teil wieder verloren gingen. Die Ausnahme war Sonderburg, wo SP sogar drittstärkste Partei wurde und fünf der 31 Kommunalratsmandate erreichen konnte; dieser Erfolg wird nicht zuletzt dem populären Vorsitzenden des Kulturausschusses - ein solcher Posten war 2013 erstmals und durchaus nicht ohne Widerstand der bürgerlichen Parteien einem SP-Vertreter zugestanden worden - Stephan Kleinschmidt zugestanden, der 2015 auch auf der Liste der Radikale Venstre für das Folketing kandidiert hatte und knapp gescheitert war.
Diese insgesamt zehn Mandate (von insgesamt 124) in den vier Kommunen konnte Slesvigsk Parti 2021 halten. Zwar konnte der Erfolg in Sonderburg nicht wiederholt werden und zwei Mandate gingen wieder verloren. Hingegen legte SP in Tondern kräftig zu und gewann nicht nur zwei Sitze im Kommunalrat hinzu, sondern sollte fortan sogar den Bürgermeister stellen. Damit ist Jørgen Popp Petersen der erste SP-Bürgermeister seit 1946. Bemerkenswert ist, dass der kommunal- und verbandspolitisch erfahrene Landwirt aus Seewang noch am Wahlabend von einem breiten Parteienbündnis nominiert wurde; offenbar traute man dem Vertreter der deutschen Minderheit am ehesten zu, die in der vorangegangenen Wahlperiode aufgebrochenen tiefen Gegensätze in der Tondernschen Kommunalpolitik wieder zur Ruhe zu bringen.
Neue Belastungen im deutsch-dänischen Verhältnis
Obwohl das deutsch-dänische Verhältnis grundsätzlich nach wie vor als problemfrei gilt, hat es seit dem Regierungswechsel 2001 zunehmend neue deutsch-dänische Irritationen gegeben. Zum einen stieß die immer weiter verschärfte Ausländer- und Asylpolitik in Dänemark in deutschen Medien immer wieder auf Unverständnis. Zum anderen haben einseitig eingeführte dänische Grenzkontrollen an der eigentlich seit 2001 offenen Grenze zu erheblichen Verstimmungen geführt: Zwar wurden die 2011 ohne belegbaren Anlass und offenbar aus parteipolitischem Kalkül veranlassten Grenzkontrollen nach dem Regierungswechsel noch im gleichen Jahr wieder abgeschafft. Doch die Anfang 2016 im Zuge der damaligen Flüchtlingskrise eingeführten Kontrollen sind bis 2022 durchgehend verlängert worden, obwohl das Schengener Abkommen nur in Ausnahmesituationen feste Grenzkontrollen bis zu einem halben Jahr vorsieht und obwohl zu keiner Zeit ein Nachweis erbracht worden ist, inwieweit die Kontrollen die zu ihrer Rechtfertigung angegebenen Probleme gelindert hätten. Ein im Dezember 2019 fertiggestellter Zaun, der Wildschweine vom Grenzübertritt abhalten und so das
Auftreten der Schweinepest im Schweinefleisch-Exportland Dänemark verhindern soll, macht die Staatsgrenze zudem so deutlich sichtbar wie nie zuvor. Denn obwohl der Sinn des Zaunes von vielen Experten der Tiermedizin stark angezweifelt worden ist und obwohl die waldarmen westlichen Landesteile ohnehin keinen Lebensraum für die zudem in der Region seltenen Tiere bieten, wurde der Grenzzaun von der Flensburger Förde bis zur Nordsee durchgezogen. Manche Kritiker äußerten die Befürchtung, dass der Wildschweinzaun der erste Schritt zu einer stärkeren Grenzbefestigung werden könnte - eine Befürchtung, welche durch Äußerungen rechtspopulistischer Politiker und durch die 2020 zufällig bekannt gewordene Tatsache, dass die dänische Regierung 2016 im Zuge des Zustroms vor allem nahöstlicher Kriegsflüchtlinge riesige Mengen Stacheldraht eingekauft hatte, weiter geschürt wurde. Ausgerechnet am 14.3.2020, dem 100. Jahrestag der Grenzabstimmung in der II. Zone, wurde die Grenze im Zuge der Krise um die Covid19-Pandemie sogar drei Monate lang für den allgemeinen Personenverkehr geschlossen. Auch danach setzten auf dänischer Seite teils sehr umständlich gehandhabte Kontrollen fort, während deutsche Einreisekontrollen in der Gegenrichtung auf die Hochzeiten der Pandemie beschränkt blieben.
Die deutsche Minderheit positionierte sich gemeinsam mit den meisten lokalen Politikern beiderseits der Grenze von Beginn an sehr eindeutig für eine schnelle Abschaffung der Kontrollen und stattdessen für einen beschleunigten Ausbau der Zusammenarbeit. Beispielsweise engagierten sich die Jungen SPitzen, die Jugendorganisation von Slesvigsk Parti, und ihr dänisch-südschleswigsches Pendant SSW-Ungdom in der Hoch-Zeit der grenzkontrollbedingten Staus im Sommer 2020 für die Einrichtung von „Nachbarspuren“ für die bevorzugte Abfertigung lokaler Grenzpendler. Doch ist es trotz mancher Teilerfolge schwierig geblieben, den Positionen aus der Region in Kopenhagen Gehör zu verschaffen.
Neue Abkommen und gemeinsame Geschichte
In den 1990er Jahren ist man verstärkt dazu übergegangen, auch die trennenden Aspekte der Geschichte in deutsch-dänischer Zusammenarbeit anzugehen. Markante Geschichtsdaten werden regelmäßig dazu genutzt, um der Region beiderseits der Grenze Aufmerksamkeit zu verschaffen. So kam es 2005 anlässlich des 50. Jahrestages der Bonn-Kopenhagener Erklärungen zu einem Treffen von Statsminister Anders Fogh Rasmussen und Bundeskanzler Gerhard Schröder im Sonderburger Schloss. Diese Gelegenheit wurde genutzt, um das gute Verhältnis zu betonen und weitere Kooperationen auf den Weg zu bringen.
Auch Schleswig-Holstein und Sønderjyllands Amt bauten ihre direkte Zusammenarbeit aus: Am geschichtsträchtigen 15. Juni - dem Waldemarstag und Tag der Grenzziehung - im Jahr 2001unterzeichneten Ministerpräsidentin Heide Simonis und Amtsborgmester Carl Holst auf der Großen Ochseninsel ein Partnerschaftsabkommen. Dieses wurde ab 2007, als die Amtskommune in der Region Syddanmark aufging, deren erster Vorsitzender ebenfalls Holst wurde, übernommen und seither immer wieder erneuert. 2021 bezeichnete Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther die Region Syddanmark als „Premium-Partner“ des nördlichsten Bundeslandes.
Der lange Atem der trennenden Geschichte
Mehr um die Geschichte selbst ging es hingegen bei den auf dänischer Seite groß angelegten „Jubiläen“ zu 150 Jahren 1864 und 100 Jahren 1920. Zwar gab es jeweils viele Aktivitäten, an denen sich auch die Minderheiten und die deutsche Seite beteiligten. Doch zeigte sich in beiden Fällen, dass die dahinterstehenden Geschichtsdaten in Dänemark eine weit größere nationale Bedeutung haben. Gab es
1864 - z.B. in einer von Starregisseur Ole Bornedal gestalteten Fernsehserie - auch selbstkritische Töne, wurde das auf dänischer Seite so bezeichnete „Genforeningsjubilæum“ mit einem nie dagewesenen Aufwand inszeniert. Zwar bekam auch die deutsche Minderheit einige positive Aufmerksamkeit, namentlich in der Rede von Premierministerin Mette Frederiksen am 15. Juni 2020 („Auch Ihr gehört zu Dänemark“) und beim Besuch von Königin Margrethe und Bundespräsident Frank Walter Steinmeier am im Jahr zuvor deutlich ausgebauten Deutschen Museum Nordschleswig in Sonderburg am 10. Juli 2021. Doch bei den allermeisten Veranstaltungen, deren Anzahl durch die Corona-Pandemie kräftig reduziert worden war, stand die nationale dänische Geschichtserzählung von der „Wiedervereinigung“ und nicht das seit Jahrzehnten gute Verhältnis im Vordergrund. Signale des Aufbruchs oder gar neue Visionen für
die Entwicklung der Region und des deutsch-dänischen Verhältnisses gingen hiervon nicht aus.