1914 - 1918 Gymnasium
Nordschleswig im Ersten Weltkrieg
Bearbeitet von Grenzgenial
Kriegsausbruch
Wachsende Gegensätze zwischen den europäischen Großmächten, darunter nicht zuletzt die deutsche Aufrüstungspolitik, führten 1914 in die Katastrophe des Ersten Weltkriegs. Nach dem Attentat eines bosnisch-serbischen Studenten auf den österreichisch-ungarischen Thronfolger in Sarajevo, das mit ganz Bosnien-Herzegowina seinerzeit gegen den Willen vieler Bewohner zur Donaumonarchie gehört hatte, stellte die Regierung in Wien und Budapest Serbien ein Ultimatum und erklärte diesem am 28.7.1914 den Krieg. Das mit letzterem verbündete Russland begann ebenso wie sein Bündnispartner Frankreich mit der Mobilmachung, worauf das mit Österreich-Ungarn verbündete Deutsche Reich beiden am 1.8. den Krieg erklärte. Damit war auch der Norden der preußischen Provinz Schleswig-Holstein Teil eines kriegsführenden Staates geworden. Bedrohlich für die Region war, dass auch die Weltmacht jenseits der Nordsee – Großbritannien – zum Kriegsgegner wurde, als das deutsche Heer einen schnellen Sieg über Frankreich mit Hilfe des Einmarsches in das neutrale Belgien erzwingen wollte.
Kriegsverlauf
Statt eines von allen Kriegsparteien erhofften und propagierten schnellen Sieges zog sich der Krieg, in welchen zunehmend weitere Staaten hineingezogen wurden, über vier Jahre hin. An der Ostfront gab es nach dem schnellen russischen Vordringen 1914 zahlreiche Schlachten, in welchen sich zunehmend die Mittelmächte durchsetzen, bis Russland nach der Oktoberrevolution und der Gründung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken im November 1917 aus dem Krieg ausschied. An der Westfront kam es nach dem baldigen Stopp des deutschen Vormarsches in Flandern und Nordfrankreich immer wieder zu fürchterlichen "Materialschlachten” mit unzähligen Toten und Invaliden, bis die deutsche Militärführung Anfang November 1918 um einen Waffenstillstand bitten musste. Mit der deutschen Kriegsniederlage ergaben sich völlig neue politische Perspektiven für Nordschleswig.
Der Krieg in der Region
Von direkten Kampfhandlungen und damit Zerstörungen blieb Nordschleswig verschont. Allerdings fürchteten die deutschen Militärstrategen, dass britische Truppen von Norden her hätten angreifen können und sich auch das bisher neutrale Dänemark den Gegnern hätte anschließen können. So wurde 1916 beschlossen, die so genannte ”Sicherungsstellung Nord” anzulegen. Quer durch Nordschleswig von der Insel Röm im Westen bis hin nach Osterlügum und Hoptrup und dem nördlichen Vorposten Aarösund im Osten wurde ein System aus Bunkeranlagen und Batterien gezogen. Die körperlich schwere Hauptarbeit wurde von Strafgefangenen geleistet. Da Dänemark jedoch bis zum Kriegsende neutral blieb, spielten die Anlagen im Krieg keine Rolle. Die noch junge Luftwaffe baute nördlich von Tondern eine Zeppelinbasis für erste Luftangriffe auf England auf, die am 19.7.1918 ihrerseits von britischen Fliegern angegriffen wurde; für den Kriegsverlauf blieb dies ebenfalls ohne Bedeutung.
Dennoch hatte der Krieg gravierende Folgen für die Menschen in der Region: Auch ca. 35.000 junge Nordschleswiger mussten unabhängig von ihrer nationalen Gesinnung in den Krieg ziehen, und viele kehrten nicht mehr, als Invaliden oder traumatisiert nach Hause zurück. Viele Nordschleswiger gehörten dem in Flensburg in der Duburg-Kaserne und in Sonderburg (damals noch im Schloss) beheimateten Füsilier-Regiment Nr. 86 ”Königin” an. 1915 war ein Teil des Regiments nordwestlich von Soissons an der Aisne stationiert, wo es im Juni zu heftigen Kämpfen beim Dorf Moulin-sous-Touvent kam, die allein über 100 namentlich bekannten Nordschleswigern das Leben kosteten. Ein weiterer Ort mit Bedeutung für Nordschleswig ist Braine (Aisne) in Nordfrankreich, wo sich seit 1924 ein Friedhof mit 79 Gräbern dänisch gesinnter Gefallener befindet; die Kleinstadt pflegt eine Partnerschaft mit Hadersleben.
Folgen für die Menschen in Nordschleswig
Insgesamt konnten fast 5300 Soldaten aus dem späteren Nordschleswig nach 1918 nicht mehr lebend ermittelt werden. Denkmäler auf praktisch jedem Kirchhof im Landesteil künden noch heute von dieser menschlichen Tragödie. Über 3000 weitere Nordschleswiger waren aufgrund ihrer Kriegsverletzungen nicht mehr arbeitsfähig; ihre Versorgung wurde ab Dezember 1920 in Dänemark durch einen besonderen Ausschuss (Invalidenævnet) organisiert, der bis 1990 bestehen sollte. Zudem waren 4000 Soldaten aus dem Landesteil in alliierte Gefangenschaft geraten.
Doch auch die übrige Bevölkerung litt zunehmend unter dem Krieg, denn die Versorgungslage wurde zunehmend schlechter, insbesondere in den beiden letzten Kriegswintern. Anfang 1918 demonstrierten etwa 400 Frauen in Hadersleben für höhere Rationen bei verschiedenen Lebensmitteln. Auch wenn viele Waren in die von Lebensmittelengpässen noch stärker betroffenen Großstädte abgeliefert werden mussten, war die Lage im überwiegend ländlichen Nordschleswig doch etwas besser. Durch die Ausrichtung auf die Kriegswirtschaft konnten allerdings viele Investitionen nicht getätigt werden, Lokalwirtschaft und Infrastruktur litten darunter.
Das Kriegsende
Obwohl die Aufrüstung der Seestreitkräfte ein Prestigeprojekt des Kaiserreichs gewesen war und entscheidend zur Gegnerschaft mit Großbritannien beigetragen hatte, spielte die hochgerüstete Flotte nur eine untergeordnete Rolle im Krieg. Die Seeschlacht im Skagerrak (31.5.-1.6.1916) war die einzige bedeutende offene Seeschlacht zwischen kaiserlicher Marine und Grand Fleet, die deutschen Schiffe konnten aber die britische Seeblockade nicht durchbrechen. Ende Oktober 1918 beschloss die deutsche Admiralität nach langer (bis auf die U-Boote) Untätigkeit der Marine, noch einmal eine angebliche Entscheidungsschlacht herbeizuführen. Die offenkundige Sinnlosigkeit dieses Unterfangens führte zu Unruhen unter den Matrosen in Kiel und Wilhelmshaven, den beiden wichtigsten Kriegsmarinehäfen des Reichs, die mit Hilfe auch von zivilen Arbeitern in einen offenen Aufstand mündeten. Am 4.11. war Kiel fest in der Hand der Aufständischen, die nicht nur Kriegende und Amnestie forderten, sondern auch das Ende der Monarchie und freies und gleiches Wahlrecht.
Demokratisierung
Wie in Kiel gründeten sich in den folgenden Tagen vielerorts im Deutschen Reich Arbeiter- und Soldatenräte. In Nordschleswig geschah dies schon einen Tag später in Tondern, am Folgetag auch in Apenrade und Sonderburg und am 7. auch in Hadersleben. Diese Räte bemühten sich weitestgehend erfolgreich und ohne Blutvergießen, die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten und die Bevölkerung der Umgebung über die neue politische Lage zu informieren.
Mit der Abdankung des Kaisers und der letzten von diesem ernannten Regierung am 9.11. wurde Deutschland zur Republik. Ein Rat der Volksbeauftragten führte zunächst die Regierungsgeschäfte und organisierte für den 19.1.1919 die erste Wahl zur verfassungsgebenden Nationalversammlung. Erstmals konnten Frauen mitwählen, so wie es ein Dreivierteljahr zuvor übrigens auch erstmals in Dänemark geschehen war.
Auch in Nordschleswig ging die Macht wieder auf die nun demokratisch kontrollierten Verwaltungsorgane über. Über den vormaligen Sonderburger Arbeiter- und Soldatenrat wurde die teilweise noch heute verbreitete seltsame Erzählung in die Welt gesetzt, dass sein erster Vorsitzender – wie überall bei diesen Räten als ”Präsident” betitelt – Bruno Topff angeblich eine eigenständige ”Republik Alsen” unter seiner Herrschaft ausgerufen hätte. Für Nordschleswig wurde die Frage der staatlichen Zugehörigkeit fortan allerdings sehr wohl zum bestimmenden politischen Thema, was bald einschneidende Konsequenzen mit sich führen sollte.
Der dänische Bevölkerungsteil
Die Aufrechterhaltung des nationalen ”Burgfriedens” hatte für die politische Opposition und damit auch für die dänisch gesinnten Politiker des Nordschleswigschen Wählervereins Folgen. Gleich nach Kriegsbeginn wurden Dutzende dänische Schleswiger wie auch andere potenzielle Oppositionelle arrestiert und oft erst nach mehreren Wochen wieder freigelassen, nachdem sie eine besondere Loyalitätserklärung hatten unterschreiben müssen. Etwa 2500 Nordschleswiger flohen ins neutrale Dänemark, um der Kriegsdienstpflicht zu entgehen, denn wie in anderen kriegsführenden Staaten auch spielte die nationale Gesinnung bei der Rekrutierung keine Rolle, sondern die Staatsangehörigkeit.
Auch wenn Dänemark nicht am Krieg beteiligt war, eröffnete die Niederlage des Deutschen Reichs 1918 neue Möglichkeiten zu einer Grenzkorrektur. Schon einige Wochen vor Kriegsende signalisierten deutsche Stellen Verhandlungsbereitschaft über eine künftige Lösung. Wichtigster politischer Akteur auf dänischer Seite wurde der Realpolitiker H.P. Hanssen, der zuvor mehrere Jahre lang dänischer Vertreter im deutschen Reichstag gewesen war. Er wandte sich gegen dänische Forderungen nach Wiedereingliederung des gesamten alten Herzogtums Schleswig bis zur Eider unter der dänischen Krone. Stattdessen setzte er sich für eine Grenzlinie ein, mit der nur ein für Dänemark vertretbar großer – und kurz über lang assimilierbarer – deutscher Bevölkerungsteil zu Dänemark kommen sollte.