1920 - 1932 - Gymnasium
Die ersten Jahre im demokratischen Dänemark
Bearbeitet von Grenzgenial
Im Schatten der neuen Grenze
Am 15. Juni – der ”Waldemarstag”, an welchem 1219 angeblich der Dannebrog vom Himmel gefallen war - wurde die I. Zone (=Nordschleswig) Teil des Königreichs Dänemark, während Mittelschleswig wieder der deutschen Souveränität übergeben wurde. Viele Deutsche empfanden diese Grenzregelung als ungerecht. Ein Kompromissvorschlag von Johannes Tiedje fand kein Gehör – dieser schlug eine nördlicher gelegene, geschwungene Linie vor, die beiderseits der Grenze etwa gleich starke Minderheiten hinterlassen hätte. Ebenso wenig konnten dänische Vertreter einschließlich König Christians X. den Anspruch auf Flensburg oder gar ganz Südschleswig durchsetzen.
Das deutsch-dänische Verhältnis blieb zunächst angespannt. Allerdings bemühten sich demokratische Politiker beider Länder bald, die Grenzfrage von der politischen Tagesordnung zu nehmen. Am 18.10.1923 bekräftigte Statsminister Niels Neergaard, dass die Grenze festliege; einen Monat später wiederholten auch die Sozialdemokraten beider Länder (Stauning-Wels-Abkommen) die schon zwei Jahre zuvor ausgesprochene Anerkennung. Die wechselnden deutschen Reichsregierungen taten sich hiermit schwerer, doch kam es angesichts der wirtschaftlichen und politischen Konsolidierung ab 1924 zu einer Annäherung an Dänemark. In den offiziellen Beziehungen beider Staaten war die Grenzfrage kein Thema mehr, solange die Demokratie in Deutschland funktionierte.
Die Selbstorganisation der deutschen Nordschleswiger als Minderheit
Auch wenn die deutsche Minderheit weiterhin auf eine Grenzrevision hoffte, arbeitete man in den politischen Gremien mit. Die führende Persönlichkeit war der zeitweilige Folketingsabgeordnete Johannes Schmidt, Pastor im nordwestschleswigschen Wodder. Derweil bemühte sich die dänische Regierung, den Landesteil schnellstmöglich in die Strukturen des Königreichs einzugliedern. H.P. Hanssen blieb als zeitweiliger Minister für die Angelegenheiten des Landesteils die führende regionale Persönlichkeit auf dänischer Seite. Er setzte sich für ein umfangreiches Minderheitenschulwesen ein, so dass es zahlreiche deutschsprachige Kommunalschulen bzw. Schulabteilungen, aber auch deutsche Privatschulen gab. Damit wollte man Unzufriedenheit bei der Minderheit vorbeugen und diese schneller in den Staat eingliedern. Doch auch die dänische Mehrheitsbevölkerung sollte durch ein modernes Schulwesen gestärkt werden. Möglich wurde all dies durch eine Schulordnung im Landesteil, die sich nicht nur vom preußisch-deutschen, sondern auch von herkömmlichen dänischen System deutlich unterschied und den Schulträgern mehr Freiheiten und demokratischere Prinzipien zugestand.
Bis 1936 waren 33 deutschsprachige Abteilungen an Kommunalschulen im Landesteil eingerichtet worden. Viele deutsche Nordschleswiger zogen allerdings private Schulen vor, die dem eigens gegründeten Deutschen Schul- und Sprachverein unterstanden. 1936 gab es 52 teils sehr kleine Privatschulen mit 1523 Kindern, während die kommunalen Abteilungen 2184 deutschsprachige Kinder unterrichteten. Examensrecht bekamen die Privatschulen erst spät, das eigens gegründete deutsche Gymnasium in Apenrade 1933; die dort zu erlangenden Abschlüsse gaben zwar Zugang zu höheren Lehranstalten in Dänemark, jedoch nicht unmittelbar zum Staatsdienst.
Die deutsche Sprache verschwand 1920 auch nicht einfach aus dem öffenlichen Leben. Bei Amtsgeschäften und Rechtsangelegenheiten durfte sie in der Region nach wie vor verwendet werden. Im bis 1937 von einer deutschen Mehrheit administrierten Tondern gab es bis 1945 zweisprachige Straßenschilder. Die vier deutschsprachigen Regionalzeitungen fusionierten 1929 zur Nordschleswigschen Zeitung. Wie auch die dänische Mehrheitsbevölkerung gründeten die deutschen Nordschleswiger zahlreiche weitere Vereine in verschiedenen Bereichen wie Kultur, Sport usw. Von zentraler Bedeutung war der Schleswigsche Wählerverein, welcher trotz mancher interner Streitigkeiten über die gemeinsame Linie die deutschen Wählertimmen sammeln konnte. Im Gegensatz zu einzelnen Stimmen, die eine harte machtpolitische Strategie gegenüber Dänemark forderten, setzten Schmidt-Wodder und seine Mitstreiter auf eine versöhnlichere und pragmatische Linie, ohne allerdings die Hoffnung auf Grenzrevision aufzugeben.
Eingliederung in das dänische Wirtschaftssystem
Die Ziehung der Grenze mitten durch das einstige Herzogtum Schleswig war ein historisches Novum, das sich sehr bald auf in Jahrhunderten gewachsene lokale und regionale Wirtschaftsbeziehungen auswirken sollte. War Nordschleswig im Deutschen Reich trotz mancher Entwicklungsfortschritte zu einem wirtschaftlich wenig bedeutenden Randgebiet abgesunken, kam es prinzipiell im allerdings bedeutend kleineren Dänemark in eine ähnliche Lage.
Wie auch unter umgekehrten Vorzeichen Südschleswig profitierte Nordschleswig von zahlreichen staatlichen Investitionen, mit denen der insbesondere während der Kriegsjahre gekommene Rückstand aufgeholt und der Landesteil besser in den dänischen Staat integriert werden sollte. So wurden die wichtigsten Landstraßen modern ausgebaut und neue gerade Verbindungen geschaffen, auch viele Nebenstraßen wurden verbessert. 1930 wurde Alsen straßen- und schienentechnisch durch die nach König Christian X. benannte Klappbrücke in Sonderburg mit dem Festland verbunden.
Die Idee einer Verlegung der östlichen Hauptbahn, sodass die nur durch Stichbahnen angeschlossenen Städte Hadersleben und Apenrade direkten Anschluss hätten bekommen sollen, wurde jedoch nicht verwirklicht. Ganz im Gegenteil kam es sogar bereits 1926 zu einer ersten Streckenstillegung, nämlich jener der kompletten Apenrader Amtsbahn (vorher: Kreisbahn); nur der westliche Teil wurde durch eine begradigte Strecke zwischen Rothenkrug und Lügumkloster ersetzt, die allerdings trotz der nun möglichen Direktverbindung Apenrade-Bredebro bereits 1935 wieder eingestellt wurde und damit gemeinsam mit einer nordseeländischen Bahn den traurigen Rekord der kurzlebigsten dänischen Eisenbahnstrecke überhaupt hält. Erfolgreicher war wiederum der Ausbau des Apenrader Hafens, der durch den nördlichen Neuen Hafen (Nyhavn) beim bisherigen Kiel erweitert wurde. Auch das Speditionsgewerbe wuchs allmählich. Sichtbares Zeichen der Modernisierung war zudem das erste Elektrizitätswerk, das 1925 in Apenrade in Betrieb ging.
Die Förderung von Infrastruktur und Wirtschaft diente auch unmissverständlich dem Ziel, Nordschleswig zu einem "normalen" Teil Dänemarks zu machen und etwaigen deutschen Ansprüchen oder prodeutschen Haltungen im Landesteil entgegen zu wirken. Hierzu zählte auch die Förderung kultureller Einrichtungen beiderseits der Grenze. Eine aus heutiger Sicht seltsame Form des Kulturkampfes waren die Versuche, mit Hilfe gemeinsamer Kassen möglichst viele Ländereien im eigenen nationalen Lager zu halten (also bedrohten Bauern zu helfen) bzw. neu zu kaufen.
Umstellung der Wirtschaft
Die Verfestigung der Staats- und Zollgrenze erschwerte jedoch die wirtschaftliche Entwicklung. Der Handel im Nahbereich war über die neue Grenze hinweg stark eingeschränkt. Anfangs hatten dänische Käufer und deutsche Verkäufer von einem frühen "Grenzhandel" profitiert, da die dänische Krone stark war und zeitweise sogar eine Deflation drohte, während die deutsche Reichsmark durch den Krieg, die schwierige Wirtschaftslage im Reich und eine Politik der Geldmengenvermehrung immer mehr an Wert verlor. Die dramatische Hyperinflation wurde im Herbst 1923 durch die Einführung einer neuen Reichsmark ("Rentenmark") beendet; hierbei war der aus Tingleff stammende deutsche Reichsbankpräsident ein maßgeblicher Entscheidungsträger.
Für die Landwirtschaft wurde der Handel mit dem deutschen Hinterland schwieriger, dafür wurde Großbritannien ein wichtiges Abnehmerland. Die Produktion wurde intensiviert, neue Ländereien wurden erschlossen, die Schweinefleischproduktion wurde in den 1920er Jahren mehr als verdoppelt. Streubesitz wurde ausgetauscht, sodass rationaler zu bewirtschaftende Höfe entstanden; gleichzeitig entstanden viele Häuslerstellen (husmandsbrug) für selbständige Kleinstlandwirte.
Auch die industrielle Produktion nahm zu. Die Lebensmittel verarbeitende Industrie wie Meiereien blieb bedeutend, während sich die traditionsreichen Ziegelproduktion auf immer weniger Standorte konzentrierte. Hinzu kamen neue Großbetriebe wie die Textilfabrik Nordisk Kamgarnspinderi in Sonderburg. Einige damals neu entstandene Firmen, die sich wie Gram in Woyens oder Danfoss auf Nordalsen mit innovativer Technik befassten, sollten später weit überregionale Bedeutung erlangen. Trotz dieser Fortschritte machte die Industrieproduktion des Landesteils auch Ende der 1930er Jahre gerade 1½% der dänischen Gesamtindustrieproduktion aus.