1989 - 2001 - Gymnasium
Internationale Aufmerksamkeit
Bearbeitet von Grenzgenial
Ende des Kalten Krieges und deutsche Einheit
In den 1980er Jahren schien die Bedeutung der Minderheiten in der öffentlichen Wahrnehmung zu verblassen. Das fortschreitende Zusammenwachsen des westlichen Europas, das ab 1986 zwölf Staaten zur Europäischen Gemeinschaft vereinte, ließ die Existenz nationaler Minderheiten als wenig wichtig erscheinen. Alte Konflikte wie z.B. in Südtirol wurden ebenso wie die schleswigsche Frage als längst überwunden betrachtet. Gewaltsam ausgetragene Gegensätze wie in Nordirland und im Baskenland wurden in der öffentlichen Wahrnehmung meist auf die terroristischen Akte reduziert und dadurch erst recht als Anachronismus angesehen.
Die Bundesrepublik Deutschland und das Königreich Dänemark vertieften ihre Zusammenarbeit weiter und waren mit wenigen Ausnahmen in denselben internationalen Organisationen vertreten. Daran änderte sich auch nichts, als Deutschland 1990 im Zuge des Endes der kommunistischen Einparteienherrschaften im vormaligen ”Ostblock” und als Folge der Friedlichen Revolution in der DDR zu einem Staat vereinigt wurde, der nun noch viel größer war als Dänemark.
Neue Aufmerksamkeit für Minderheiten
Dieser Umbruch 1989/90 im Europa östlich des bisherigen „Eisernen Vorhangs“ sollte jedoch bald neues Interesse für die Minderheiten im schleswigschen Grenzland wecken. Es zeigte sich, dass das in der Zeit des Kalten Krieges scheinbar unerschütterliche Staatengefüge durchaus brüchig war. Der Vereinigung der beiden deutschen Staaten stand der Zerfall der bisherigen Supermacht Sowjetunion in ihre 15 Teilrepubliken gegenüber, wobei es auch zu mehreren gewaltsamen Nationalitätenkonflikten um Staatsgrenzen, um die Vormacht in einem Staat oder um weitere neue Staatsgründungen kam. Auch Jugoslawien zerbrach ab 1991, wobei es zu mehreren teils lang andauernden Bürgerkriegen kam, die in Flucht und Vertreibung (Euphemismus „ethnische Säuberungen“) bis hin zu völkermörderischen Massenmorden gipfelten, was man mitten in Europa nicht mehr für möglich gehalten hatte.
Es wurde vielen wieder bewusst, dass kein europäischer Nationalstaat monokulturell war oder ist, auch nicht im westlichen Europa. Umso mehr wuchs das Interesse für das friedliche Zusammenleben zwischen Mehrheiten und Minderheiten im deutsch-dänischen Grenzland.
Gerade die Tatsache, dass es aus Nord- und Südschleswig nur selten Schlagzeilen gegeben hatte und es dort sehr ruhig zur Sache ging, machte die Region angesichts der vielen wieder aufgeflammten Nationalitätenkonflikte auf der Suche nach Lösungen für diese in der internationalen Politik wieder interessant. Nur selten kam es in jenen Jahren zu Ausbrüchen gegenseitigen Hasses, und diese waren meist vergleichsweise harmlos und blieben auf Einzelpersonen beschränkt. Dadurch erschienen sie den meisten eher als Ausnahmen von der Regel des guten Einvernehmens, als dass sie als Ausdruck immer noch schwelender und erneut ausbruchsbereiter Konflikte wären.
Verstärkt wurde das gute Bild des deutsch-dänischen Grenzlandes durch die spätestens seit Dänemarks EG-Beitritt praktisch problemfreien deutsch-dänischen Beziehungen. Dies galt nicht nur für das gute Einvernehmen sowohl zwischen den sozialdemokratischen Regierungschefs Anker Jørgensen und Helmut Schmidt als auch zwischen deren 1982 ins Amt gekommenen christlich-konservativen Nachfolgern Poul Schlüter und Helmut Kohl.
Letzterer machte sich zudem für eine pragmatische Lösung stark, als in Dänemark eine Bevölkerungsmehrheit 1992 überraschend zunächst gegen die Vertiefung der europäischen Zusammenarbeit mit dem Vertrag von Maastricht gestimmt hatte. Ergebnis waren die bis heute einzigartigen vier Rechtsvorbehalte, welche Dänemark in der EU zustehen. Erst recht wurde das gute deutsch-dänische Verhältnis in der Region gestärkt, da auch immer mehr Regional- und Lokalpolitiker eine verstärkte grenzüberschreitende Zusammenarbeit forcierten – und die Minderheiten als wichtige Mitspieler entdeckten.
Die Minderheiten als aktive Verbindungselemente
Immer mehr Entscheidungsträger beiderseits der Staatsgrenze erkannten die Bedeutung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit für die Entwicklung beider Teile des alten Herzogtums Schleswig, die trotz zunehmender deutsch-dänischer Zusammenarbeit immer mehr in eine wirtschaftliche Randlage geraten waren. Nicht nur die verschiedenen Steuer-, Verwaltungs- und Sozialsysteme erschwerten die Zusammenarbeit, sondern auch die mangelnden Kenntnisse in der Nachbarsprache.
Dank ihrer Sprach- und Kulturkompetenz erschienen die Minderheiten als die perfekten „Brückenbauer“, und in dieser Rolle sahen sich die Minderheiten selbst ohnehin. So trägt das Logo der deutschen Volksgruppe in Nordschleswig nicht nur die beiden Löwen aus dem alten Wappen des Herzogtums Schleswig, sondern auch eine Brücke – die gezeigte Brücke ist die Steinbrücke von Immerwatt am historischen Ochsenweg, gleichzeitig ein Wahrzeichen der Region.
In dieser Situation kam es zu weiteren Annäherungen zwischen Mehrheits- und Minderheitsbevölkerung. Als ein öffentlichkeitswirksamer Schritt von hoher symbolischer Bedeutung ist die Rede des BDN-Hauptvorsitzenden Hans Heinrich Hansen in Erinnerung geblieben, die er 1995 auf der Düppeler Höhe bei der zentralen Feier zum 75. Jahrestag der in Dänemark als "genforening" (Wiedervereinigung) bezeichneten Eingliederung Nordschleswigs in das Königreich 75 Jahre zuvor hielt. So wurde eine breite Öffentlichkeit darauf aufmerksam, dass die deutsche Minderheit keine sich selbst isolierende Marginalgruppe und kein Anachronismus war, sondern ein integraler Bestandteil der lokalen Bevölkerung, der die weitere Entwicklung der Gesamtregion aktiv und konstruktiv mitgestalten wollte.
Die Minderheit als Motor der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
Nicht nur mit vielen Entscheidungsträgern auf dänischer Seite ergaben sich seinerzeit neue Dimensionen der Zusammenarbeit. Auch die dänische Minderheit in Südschleswig, mit der sich der Kontakt bis dato eher auf das Notwendigste beschränkt hatte, wurde zunehmend zu einem wichtigen Partner der deutschen Nordschleswiger. Viele Angehörige der jüngeren Generation stellten oft fest, dass sie durch die Lebenserfahrung als Minderheitenangehörige in der gleichen Region mehr Gemeinsamkeiten hatten als z.B. mit der Bevölkerung am Studienort. Aber auch die Organisationen der Minderheiten verstärkten ihre Zusammenarbeit. Sie unterstützten sich immer häufiger gegenseitig und arbeiteten verstärkt in internationalen Minderheiten-Organisationen zusammen und dies nicht selten in führender Position.
Neben Amtsbürgermeister Kresten Philipsen und Amtsdirektor Finn Hansen sowie dem Flensburger Oberbürgermeister Olaf Cord Dielewicz zählten auch die schleswig-holsteinischen Landesregierungen unter Björn Engholm (1988-93) und Heide Simonis (1993-2005) zu den politischen Hauptakteuren der deutsch-dänischen Zusammenarbeit. Doch auch auf zwischenstaatlicher Ebene wurde dies mit Interesse verfolgt. 1998 kam es zu einem gemeinsamen Besuch von Königin Margrethe II. und Bundespräsident Roman Herzog in der Region. Gerade angesichts neuer Entwicklungsmöglichkeiten und Partnerschaften im Ostseeraum wuchs das Interesse an mehr deutsch-dänischer Zusammenarbeit in der Region und darüber hinaus deutlich.
Neue grenzüberschreitende Institutionen
Das internationale Interesse für das Grenzland wurde durch die Einrichtung des European Center for Minority Issues (ECMI) im Dezember 1996 in Flensburg manifestiert. Dieses vom Königreich Dänemark, von der Bundesrepublik Deutschland und vom Bundesland Schleswig-Holstein finanzierte Einrichtung dient sowohl als internationale Forschungseinrichtung als auch als unabhängige Vermittlungsinstanz bei Volksgruppen-Konflikten.
1997 gründeten Sønderjyllands Amt, das seit der Gebietsreform 1970 einen wesentlichen Teil des historischen Nordschleswig mit insgesamt 23 Kommunen umfasste, und die südschleswigschen Gebietskörperschaften Stadt Flensburg, Kreis Schleswig-Flensburg und Kreis Nordfriesland eine gemeinsame grenzüberschreitende Euroregion, wie es sie zu diesem Zeitpunkt bereits in vielen europäischen Grenzgebieten - und nicht nur innerhalb der EU-gegeben hat. Deutsche Nord- und dänische Südschleswiger engagierten sich von Beginn an aktiv für deren Einrichtung, mit welcher die grenzüberschreitende Zusammenarbeit eine breitere und vor allem fester verankerte Grundlage bekommen sollte.
Der Plan führte in national-dänischen Kreisen jedoch zu unerwartet heftigen Gegenreaktionen bis hin zu Drohungen gegen regionsfreundliche Politiker. Als Kompromiss wurde als Name statt "Euroregion Schleswig" nun "Region Sønderjylland/Schleswig" (später mit Bindestrich statt Schrägstrich geschrieben), da sich einige sowohl am "Europäischen" als auch am angeblich deutschen "Schleswig" und einer zu starken Betonung der historischen Zusammengehörigkeit der beiden Landesteile gestört hatten. Die Region hat sich als wichtiges Forum etabliert und unter anderem ein festes Sekretariat mit Grenzpendlerberatung aufgebaut.