2001 bis heute - 8. bis 9. Klasse

Minderheit als Mehrwert?

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Klasse 8 bis 9
Staatminister Ander Fogh Rasmussen und Bundeskanzler Gerhardt Schröder bei den Feierlichkeiten des 50. Jahrestages der Bonn-Kopenhagener Erklärung. Foto: Der Nordschleswiger

Die politische Entwicklung

Seit den 1990er Jahren hat sich die Stellung der deutschen Nordschleswiger nicht viel verändert. Das deutsch-dänische Verhältnis gilt grundsätzlich nach wie vor als ausgezeichnet. Im März 2001 trat das Schengener Abkommen auch für Dänemark in Kraft, sodass die festen Grenzkontrollen abgeschafft wurden. Das gute Zusammenleben zwischen Mehr- und Minderheiten wird bei jeder Gelegenheit, auch in der hohen Politik, gelobt und als vorbildlich hervorgehoben.

Fakten

Zeitliche Einordnung

  • 2001: Freie Grenzpassage nach Inkrafttreten des Schengener Abkommens
  • 2001: Neue Regierung unter Anders Fogh Rasmussen
  • 2007: Verwaltungsreform in Dänemark: Statt 23 nur noch 4 Kommunen in Nordschleswig; Sønderjyllands Amt geht in der Region Syddanmark auf
  • 2011: Kurzfristige Einführungen von Grenzkontrollen, die von der neuen Regierung unter Helle Thorning-Schmidt wieder zurückgezogen werden
  • 2015: Lars Løkke Rasmussen, wie schon 2009-11, neuer Regierungschef
  • 2016: Einführung dänischer Grenzkontrollen
  • 2017: Stephan Kleinschmidt nach überwältigendem Wahlerfolg in Sonderburg erster Vizebürgermeister der SP in einer Großkommune
  • 2019: Neue Regierung unter Mette Frederiksen verlängert Grenzkontrollen wiederholt
  • 2020: Großangelegte Feiern unter dem Titel „Danmarks genforening“
  • 2020: Zeitweilige, praktisch vollständige Grenzschließung im Zuge der Corona-Pandemie
  • 2020: Eröffnung des Neubaus des Deutschen Museums Nordschleswig in Sonderburg
  • 2021: Besuch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Königin Margrethe II
  • 2021: Jørgen Popp Petersen in Tondern erster SP-Bürgermeister seit dem Zweiten Weltkrieg
Junge Spitzen beim in Kraft treten des Schengener Abkommen 2001 an der Grenze. Foto: Deutsches Museum Nordschleswig

Die größte politische Herausforderung für die deutsche Minderheit war die Frage ihrer künftigen politischen Vertretung nach der Verwaltungsreform Dänemarks im Jahre 2007. Seit der Reform, gibt es in Dänemark nur noch 98 Kommunen, anstelle von 270, davon ganze vier in Nordschleswig, mit den vier alten Städten Tondern, Apenrade, Sonderburg und Hadersleben als Zentren.

Sønderjyllands Amt ging in der Region Syddanmark mit Verwaltungssitz in Vejle auf. Die Kompetenzen der fünf dänischen Regionen sind aber von Beginn an begrenzt gewesen (v.a. Krankenhäuser, öffentlicher Nahverkehr und Wirtschaftsförderung), ihre Fortexistenz ist bereits wiederholt in Frage gestellt worden. Erstmals seit dem Hochmittelalter ist die historische Region (Nord)Schleswig nicht mehr auf der administrativen Landkarte Dänemarks wahrnehmbar.

 

Die Etablierung von Slesvigsk Parti in den neuen Kommunen

Für Slesvigsk Parti hat es bisher in allen vier Kommunen fast immer für mindestens ein Mandat gereicht; nur in Hadersleben galt 2007-09 die zuvor vereinbarte Sonderregel, dass der Partei der Minderheit immerhin ein Sitz mit Rederecht im Kommunalrat zusteht, wenn sie mindestens die Hälfte, der für das mit der kleinsten Stimmenzahl erreichbare letzte Mandat notwendigen Stimmen erzielt hat.

2013 gab es deutliche Zugewinne in allen vier Kommunen, die jedoch 2017 zum wesentlichen Teil wieder verloren gingen. Die Ausnahme war Sonderburg, wo SP sogar die drittstärkste Partei wurde und fünf der 31 Kommunalratsmandate erreichen konnte; dieser Erfolg wird nicht zuletzt dem populären Vorsitzenden des Kulturausschusses Stephan Kleinschmidt zugestanden, der 2015 auch auf der Liste der Radikale Venstre für das Folketing kandidiert hatte und knapp gescheitert war.

Diese insgesamt zehn Mandate (von insgesamt 124) in den vier Kommunen konnte Slesvigsk Parti 2021 halten. Zwar konnte der Erfolg in Sonderburg nicht wiederholt werden und zwei Mandate gingen wieder verloren. Hingegen legte SP in Tondern kräftig zu und gewann nicht nur zwei Sitze im Kommunalrat hinzu, sondern sollte fortan sogar den Bürgermeister stellen. Damit ist Jørgen Popp Petersen der erste SP-Bürgermeister seit 1946. Bemerkenswert ist, dass der kommunal- und verbandspolitisch erfahrene Landwirt aus Seewang noch am Wahlabend von einem breiten Parteienbündnis nominiert wurde; offenbar traute man dem Vertreter der deutschen Minderheit am ehesten zu, die in der vorangegangenen Wahlperiode aufgebrochenen tiefen Gegensätze in der Tondernschen Kommunalpolitik wieder zur Ruhe zu bringen.

 

Neue Belastungen im deutsch-dänischen Verhältnis

Obwohl das deutsch-dänische Verhältnis grundsätzlich nach wie vor als problemfrei gilt, hat es seit dem Regierungswechsel 2001 zunehmend neue deutsch-dänische Irritationen gegeben. Zum einen stieß die immer weiter verschärfte Ausländer- und Asylpolitik in Dänemark in deutschen Medien immer wieder auf Unverständnis. Zum anderen haben einseitig eingeführte dänische Grenzkontrollen an der eigentlich seit 2001 offenen Grenze zu erheblichen Verstimmungen geführt: Zwar wurden die 2011 ohne belegbaren Anlass veranlassten Grenzkontrollen nach dem Regierungswechsel noch im selben Jahr wieder abgeschafft, doch die Anfang 2016 im Zuge der damaligen Flüchtlingskrise eingeführten Kontrollen sind bis 2022 durchgehend verlängert worden, obwohl das Schengener Abkommen nur in Ausnahmesituationen feste Grenzkontrollen bis zu einem halben Jahr vorsieht und obwohl zu keiner Zeit ein Nachweis erbracht worden ist, inwieweit die Kontrollen die zu ihrer Rechtfertigung angegebenen Probleme gelindert hätten. 

Grenzschließubg 2020 auf Grund der Covid19-Pandemi (Ruttebüll/Rudbøl) Foto: Der Nordschleswiger

Ein im Dezember 2019 fertiggestellter Zaun, der Wildschweine vom Grenzübertritt abhalten und so das Auftreten der Schweinepest im Schweinefleisch-Exportland Dänemark verhindern soll, macht die Staatsgrenze zudem so deutlich sichtbar wie nie zuvor. Denn obwohl der Sinn des Zaunes von vielen Experten der Tiermedizin stark angezweifelt worden ist und obwohl die waldarmen westlichen Landesteile ohnehin keinen Lebensraum für die zudem in der Region seltenen Tiere bieten, wurde der Grenzzaun von der Flensburger Förde bis zur Nordsee durchgezogen. Manche Kritiker äußerten die Befürchtung, dass der Wildschweinzaun der erste Schritt zu einer stärkeren Grenzbefestigung werden könnte - eine Befürchtung, welche durch Äußerungen rechtspopulistischer Politiker und durch die 2020 zufällig bekannt gewordene Tatsache, dass die dänische Regierung 2016 im Zuge des Zustroms vor allem nahöstlicher Kriegsflüchtlinge riesige Mengen Stacheldraht eingekauft hatte, verstärkt wurde. 
Ausgerechnet am 14.3.2020, dem 100. Jahrestag der Grenzabstimmung in der II. Zone, wurde die Grenze im Zuge der Krise um die Covid19-Pandemie sogar drei Monate lang für den allgemeinen Personenverkehr geschlossen. Auch danach setzten auf dänischer Seite teils sehr umständlich gehandhabte Kontrollen fort, während deutsche Einreisekontrollen in der Gegenrichtung auf die Hoch-Zeiten der Pandemie beschränkt blieben.

Die deutsche Minderheit positionierte sich gemeinsam mit den meisten lokalen Politikern beiderseits der Grenze von Beginn an sehr eindeutig für eine schnelle Abschaffung der Kontrollen und stattdessen für einen beschleunigten Ausbau der Zusammenarbeit. Beispielsweise engagierten sich die Jungen SPitzen, die Jugendorganisation von Slesvigsk Parti, und ihr dänisch-südschleswigscher Gegenspieler SSW-Ungdom in der Hoch-Zeit der grenzkontrollbedingten Staus im Sommer 2020 für die Einrichtung der Initiative „Nachbarspuren“ für die bevorzugte Abfertigung lokaler Grenzpendler.

 

Neue Abkommen und gemeinsame Geschichte

In den 1990er Jahren ist man verstärkt dazu übergegangen, auch die trennenden Aspekte der Geschichte in deutsch-dänischer Zusammenarbeit anzugehen. Markante Geschichtsdaten werden regelmäßig dazu genutzt, um der Region beiderseits der Grenze Aufmerksamkeit zu verschaffen. So kam es 2005 anlässlich des 50. Jahrestages der Bonn-Kopenhagener Erklärungen zu einem Treffen von Staatsminister Anders Fogh Rasmussen und Bundeskanzler Gerhard Schröder im Sonderburger Schloss. Diese Gelegenheit wurde genutzt, um das gute Verhältnis zu betonen und weitere Kooperationen auf den Weg zu bringen. 

Staatminister Ander Fogh Rasmussen und Bundeskanzler Gerhardt Schröder bei den Feierlichkeiten des 50. Jahrestages der Bonn-Kopenhagener Erklärung. Foto: Der Nordschleswiger

Auch Schleswig-Holstein und Sønderjyllands Amt bauten ihre direkte Zusammenarbeit aus: Am geschichtsträchtigen 15. Juni - dem Waldemarstag und Tag der Grenzziehung - im Jahr 2001, unterzeichneten Ministerpräsidentin Heide Simonis und Amtsborgmester Carl Holst ein Partnerschaftsabkommen. Zudem bezeichnete Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther 2021 die Region Syddanmark als „Premium-Partner“ des nördlichsten Bundeslandes.

 

Der lange Atem der trennenden Geschichte

Mehr um die Geschichte selbst ging es hingegen bei den auf dänischer Seite groß angelegten „Jubiläen“ zu 150 Jahren 1864 und 100 Jahren 1920. Zwar gab es jeweils viele Aktivitäten, an denen sich auch die Minderheiten und die deutsche Seite beteiligten. Doch zeigte sich in beiden Fällen, dass die dahinterstehenden Geschichtsdaten in Dänemark eine weit größere nationale Bedeutung haben. Gab es 1864, z.B. in einer von Starregisseur Ole Bornedal gestalteten Fernsehserie, auch selbstkritische Töne, wurde das auf dänischer Seite so bezeichnete „Genforeningsjubilæum“ mit einem nie dagewesenen Aufwand inszeniert. Zwar bekam auch die deutsche Minderheit einige positive Aufmerksamkeit, namentlich in der Rede von Premierministerin Mette Frederiksen am 15. Juni 2020 („Auch Ihr gehört zu Dänemark“) und beim Besuch von Königin Margrethe und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am im Jahr zuvor deutlich ausgebauten Deutschen Museum Nordschleswig in Sonderburg am 10. Juli 2021. Doch bei den allermeisten Veranstaltungen, deren Anzahl durch die Corona-Pandemie kräftig reduziert worden war, stand die nationale dänische Geschichtserzählung von der „Wiedervereinigung“ und nicht das seit Jahrzehnten gute Verhältnis im Vordergrund.